F&A: Einsichten einer digitalen Anthropologin zum Thema Arbeitswelten

In diesem Jahr beschäftigt sich das Leading Edge Forum (LEF) mit modernen Arbeitswelten, sowohl physischen als auch mentalen. THRIVE hat sich mit Dr. Caitlin McDonald getroffen, um über die von ihr geleitete Forschungsarbeit und ihren Job als digitale Anthropologin bei LEF zu sprechen.

F: Was ist eine digitale Anthropologin und warum haben Sie sich entschieden, eine zu werden?

A: Einfach ausgedrückt, ist die Anthropologie das Studium des Menschen: Wie wir uns verhalten, denken und handeln und vor allem, wie wir gemeinsam Bedeutung schaffen. Die Kernmerkmale eines Anthropologen sind Neugierde und Empathie. Anthropologen wollen mehr über die Erfahrungen der Menschen lernen und wir freuen uns und sind demütig, wenn wir von Menschen in ihre Welt eingeladen werden. Eine wichtige Entdeckung der Anthropologie ist, dass wir alle unsere eigene Version von „normal“ haben: Was in meiner Welt gängige Praxis oder selbstverständlich ist, könnte von jemand anderem völlig anders interpretiert werden. Anthropologen lernen über ihre Version des Normalen hinauszugehen, das Urteilen zu unterbinden und die Dinge aus vielen verschiedenen Perspektiven zu betrachten. In einer Welt, die zunehmend durch digitale Technologien vermittelt wird, müssen Anthropologen besonders darauf achten, wie unsere digitalen Werkzeuge den Rest unseres Lebens am Arbeitsplatz, zu Hause und in der Gesellschaft prägen.

F: Auf welche Weise kann ein digitaler Anthropologe Unternehmen helfen, ihre Geschäftsergebnisse zu verbessern?

A: Wenn sie lernen, wie ein Anthropologe zu denken, kann dies einen radikalen Einfluss auf ihr Unternehmen haben, indem sie die Entscheidungsträger in die Lage versetzen, ihre Informationen darüber, was Kunden wünschen und benötigen, kontinuierlich zu aktualisieren. Zeit mit Kunden zu verbringen und zu verstehen, was ihr Produkt oder ihre Dienstleistung für sie im Kontext ihres Lebens oder ihrer Arbeit bedeutet, ist nicht zu ersetzen. Diese kontinuierliche Vertiefung in die Erfahrung der Kunden und die Anpassung an die sich im Laufe der Zeit ändernden Benutzerbedürfnisse lässt sie wissen, welche kleinen Optimierungen sie vornehmen müssen, und hält sie wachsam für große Veränderungen, die sich erst am Horizont abzeichnen.

Aber das ist noch nicht alles. Zu lernen, wie ein Anthropologe zu denken, kann auch die Beziehungen am Arbeitsplatz verbessern, da die Teammitglieder lernen, mit einer offenen, neugierigen und einfühlsamen Einstellung auf ihre Kollegen einzugehen und ihre Probleme aus deren Perspektive zu betrachten.

Eine anthropologische Denkweise besteht nicht nur aus einer einmalig gestellten und beantworteten Frage, sondern sie ist ein Prozess, in dem die Dinge, von denen wir ausgehen sie zu kennen, immer wieder hinterfragt werden. Nur so ist es möglich zu erkennen, wie sie sich im Laufe der Zeit verändern.

Die Entwicklung anthropologischer Fähigkeiten kann einem Unternehmen helfen:

  • Innovationsmöglichkeiten durch Verständnis der Kundenbedürfnisse zu erkennen.
  • Alte Probleme aus neuen Blickwinkeln zu betrachten („vuja de“).
  • Mitzugestalten, indem sie Kunden als Experten für ihre Erfahrung wahrnehmen und behandeln.
  • Big Data in einen Kontext zu bringen, indem sie die numerische Abstraktion mit illustrativen   Erfahrungen anreichern.

Q: Sie leiten ein Forschungsprojekt über unsere Arbeitswelten mit dem Titel „Space: The Organizational Frontier.“ Warum dieses Thema?

A: Als Anthropologin bin ich immer auf der Suche nach dem Unerwarteten im Alltag: Was erscheint uns „normal“ oder „natürlich“, das in einigen Jahren vielleicht ganz anders aussehen könnte? Zum Beispiel ist es uns früh aufgefallen, dass viele Mitarbeiter in Großraumbüros Kopfhörer nicht nur wegen ihres Funktionswertes während des Telefonierens oder des Musikhörens tragen, sondern sie auch als „Bitte nicht stören Zeichen“ für ihre Kollegen benutzen.

Durch die Untersuchung des Zusammenspiels zwischen digitalen und physischen Arbeitswelten können wir einige der Fallstricke überwinden, mit denen Unternehmen konfrontiert sind, wenn es darum geht, innovative Tools für die Zusammenarbeit zu entwickeln und ihnen helfen, ihre Versprechen einzulösen.

Q: Wie und warum sollten Unternehmen ihre Arbeitswelten anpassen?

A: Mit immer allgegenwärtigeren kollaborativen Technologien haben Informationsmitarbeiter alle Werkzeuge, die sie für das Büro benötigen, direkt in der Tasche. Wo es WiFi gibt, gibt es auch Arbeit. Das bedeutet, dass sich die Unternehmen immer mehr auf Homeoffice, flexible Arbeit und verlagerte Arbeitszeiten der Mitarbeiter gewöhnen. Das hat große Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir Räume gestalten. Die Büroflächen sind ein großer Kostenfaktor und Unternehmen, die ihre Belegungskosten durch veränderte Arbeitsmuster senken können, werden diese Innovationen begrüßen. Aber auch das zunehmend asynchrone Arbeiten hat Herausforderungen: Menschen brauchen neue Gewohnheiten, Praktiken und ein gemeinsames Verständnis von Etikette, um Informationen effektiv auszutauschen, Beziehungen aufzubauen und schließlich über digitale und physische Bereiche hinweg zusammenzuarbeiten.

Q: Können Sie uns mitteilen, wie Unternehmen an der organisatorischen Grenze innovativ sind?

A: Die anspruchsvollsten Organisationseinheiten verfügen über einen hybriden Mix aus Mitarbeitern, die sich an einem Standort befinden und einigen Remote-Mitarbeitern. Das bedeutet, dass sie Strategien entwickeln müssen, wie sie persönlich und während der Homeofficezeiten zusammenarbeiten und wie sie mit den heiklen Phasen dazwischen umgehen. Aber immer mehr Unternehmen agieren auf diese Weise, so dass es zu einem immer häufiger vorkommenden Muster werden wird. Die zunehmende Verlagerung zu Plattformorganisationen mit immer undeutlicheren Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten, sowie die Zunahme von kurzfristiger und flexibler Vertragsarbeit erfordern auch, dass die Teams ihren On- und Offboarding-Strategien mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. Dies ist wirklich wichtig, um ein Gefühl von Teamzusammenhalt und Kontinuität aufzubauen.

Quelle: THRIVE

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